Der Via Alta Verzasca im Tessin


Der Via Alta Verzasca (VAV) ist ein Höhenweg in den östlichen Bergen des Verzasca-Tales - einem östlichen Nachbartal des Valle Maggia - im Tessin.
Er hat die folgenden Eigenschaften:
6 Tagesetappen mit Zu- und Abstieg
Tagesetappen bis ca. 11 Stunden (ohne Pausen)
Übernachtungen auf Selbstversorgerhütten der Società Escursionistica Verzaschese (SEV)
Einige Kletterstellen max. zwischen II+ und III- UIAA nur teilweise und wenn, dann spärlich versichert
Wanderschwierigkeit bis T6
gut markiert
Charakter schwer, ausgesetzt und ernst

Diesen Fakten kann man entnehmen, dass an den Bergwanderer -oder besser Bergsteiger- besondere Anforderungen in puncto Ausdauer, Tragfähigkeit und
Klettergeschick gestellt werden, Erfahrung vorausgesetzt. Allein die max. Schwierigkeit T6 des alpinen Wanderns spricht für sich und alles mit schwerem Gepäck,
da Essen selber mitgenommen werden muss.
Kerstin und ich starteten am Dienstag den 20.09.11 mit Easyjet von Berlin nach Basel für 144 Euro hin und rück am 26.09.11. Unser Bergkamerad German aus
Reutlingen holte uns in Basel ab. 270 km braucht man von dort bis Vogorno im Verzasca-Tal. Das Wetter war sonnig und von Schnee, der Mitte September
-vor allem am Hauptkamm- gefallen war, war hier nichts zu sehen.
































Wir wählten den Zustieg zum südlichen Ende des VAV vom Ort Vogorno 492m, über die Höhensiedlung Rienza und die Alm Corte di Fondo.
Dieser Zustieg ist weniger schwierig und das Auto ist mit dem Bus gut erreichbar.



Ansonsten ist der Zustieg über die polnische Mauer von Monti di Motti interessanter. Sie wurde von polnischen Soldaten errichtet, die zwischen
1940 und 1945 in der Schweiz interniert waren (mehr). Sie besteht aus verbindungslos geschichtetem Naturstein und verläuft über den Rücken
östlich des Forcarella 1632m bis zum Cima di Sassello 1890m. German berichtete uns nach seinem dreitägigen Solo-Trip, dass die Mauer so
breit ist, dass man auf ihr gut laufen kann und in sie so zum Auf- oder Absteigen nutzen kann. Der Sinn dieser Mauer erschließt sich nicht spontan.
Vielleicht folgt sie ihrem historischem Vorbild -der Pioda di Bombögn- auf der Südseite des Pizzo Bombögn, oberhalb des Valle di Campo, einem
nordöstlichen Seitental des Valle Maggia. Diese Trockensteinmauer läuft bis zum Gipfel Pizzo Bombögn 2330m und soll von Älplern zum Schutz
der Felder vor Ziegen errichtet  worden sein.

Nach Einbruch der Dunkelheit kamen wir auf der Capanna Borgna 1912m an. Daher war es gut, dass der Hüttenzustieg im oberen Bereich ein breiter
Weg ist. Wie alle weiteren Hütten des SEV am VAV ist die Capanna Borgna eine ehemalige Almhütte, welche der SEV liebevoll und professionell
instandgesetzt hat. Auf der Hütte trafen wir u.a. ein deutsch-schweizer Pärchen, die wie wir den VAV komplett liefen. Ansonsten gab es noch ein paar
Leute, die ihn teilweise liefen. Im Gegensatz zum Herbst, soll in den Sommermonaten mehr auf dem VAV los sein. Abgesehen von der Wandererdichte
empfiehlt sich der Herbst auch wegen den angenehmeren Temperaturen, da es im Tessin im Sommer recht warm werden kann. Nachteil: Die Tage sind
kürzer. Man sollte daher morgens früh aufbrechen.
Dann sollte man den VAV auf alle Fälle nur bei stabiler und guter Wetterprognose gehen, da es viele Abschnitte gibt, die bei Feuchtigkeit gefährlich sind.
Die Hütten des SEV am VAV kann man bis Ende Oktober nutzen, dann werden sie den Winter über - laut deren Internet-Seite - geschlossen.































Am nächsten Morgen bot sich von der Cap. Borgna ein sehenswerter Blick in Richtung Lago Maggiore. Orte wie Ascona, Brissago und Cannabio
-schon Italien- konnte man am westlichen Seeufer erkennen. In den Lago Maggiore mündet die Maggia, die das Valle Maggia und seine Seitentäler
entwässert. Hinter allem -in der Ferne- liegt das Monte Rosa Massiv mit seinen 4000ern.
































Das erste schwierige Gelände bot sich kurz hinter Bochetta Cazzane 2104m, die einen nördlichen Ausgang aus dem Val della Porta vermittelt,
in welchem die Capanna Borgna liegt. Hier -im Kar Cazzane- sind plattige, abschüssige Felsen zu queren. Etwas, das nur im trockenem Zustand
angeraten ist.
































Unterhalb der Ostseite der Bochetta di Leis 2215m kam es zu einem kurzem Verhauer. Der VAV ist zwar gut markiert, aber man muss schon
aufmerksam sein, da er -besonders im felsigem Gelände- zeitweise wenig Wegspuren hat. In diesem Fall führten allerdings Wegspuren an der
Markierung vorbei. Hinter der Bochetta di Leis bietet sich ein guter Blick auf den Poncione di Piotta 2439m und seinem zerklüfteten Westgrat.
Dieser hat Passagen bis zum III.Grad, die teilweise versichert sind.  Die Schwierigkeit steigt hier auf T6. German begleitete uns noch bis zum
Gipfel und startete von dort seinen dreitägigen Solo-Trip. Wir folgten dem VAV weiter.










































Auf dem Gipfel des Poncione di Piotta schloss sich uns Bernhard -aus den Niederlanden- an. Auch er ging zur Cap. Cornavosa, unserem
zweitem Nächtigungsort. Oben mit Kerstin in einer nicht versicherten II+ oder III- Stelle im Westgrat des Poncione di Piotta.



Ist man aus den Felsen raus, wird es psychisch nicht immer einfacher. Oben läuft ein schmaler Pfad durch steile Schrofen unterhalb des
Cima della Cengia - delle Pecore 2394m.



Da der VAV oft über Grate und durch relativ hochgelegene Joche führt, hat man meist interessante Fernblicke, so oben auf das Rheinwaldhorn 3402m
oder um beim Italienischen zu bleiben, der Pizzo del Cadabi auch Adula genannt. Nach dem letzteren Namen sind die Adula-Alpen benannt, dessen
höchster Berg er ist. Man sieht seine Westseite, von der aus sich die Wasser Richtung Po scheiden. Auf der abgewandten Seite laufen sie Richtung Rhein,
schon im Kanton Graubünden.

P9211513.JPG

Von der Bochetta del Venn steigt man zur Cap. Cornavosa 1991m ab. Bernhard und Kerstin gingen voraus. Ich lief aus der Scharte noch zum
Poncione dell Venn 2477m, einem weitblickenden Aussichtsberg. Gen Süden sieht man in der Bildmitte den Pizzo di Vogorno 2442m und rechts
im Tal schimmert der Lago Maggiore. Die zurückgelegte Tagesroute liegt im linken Bereich des Fotos, dort wo die linke Gratschneide des
Pizzo di Vogorno endet.

Die Cap. Cornavosa ist durch den SEV kürzlich fertiggestellt worden. Mit geholfen hatte die DAV Sektion Weiler aus dem Allgäu. Beide Sektionen
pflegen freundschaftliche Kontakte. Die Cap. Cornavosa ersetzt nun die privat bewirtschaftete Unterkunft auf der Alpe Fümegna, die ca. 1 Stunde
nördlich am VAV liegt.
































Am Donnerstag -der 3.Tagesetappe- ging es weiter zur Cap.Efra. Hat man die 2.Tagesetappe von der Cap. Borgna zur Cap. Cornavosa gut
bewältigt, kann man getrost die weiteren Etappen in Angriff nehmen. Bernhard war sich nicht sicher, ob er weiter laufen wollte und blieb zunächst
auf der Cap. Cornavosa.
Die Landschaft reizte mit immer neuen Aussichten. So hat man oberhalb der Alp Fümegna einen schönen Blick auf die Westseite des Poncione Rosso.
Der einfachste Weg auf diesen Gipfel führt vom VAV über die Forcarella di Lodrino 2223m, im Bild der kleine Sattel direkt unterhalb der rechten
steilen Gratschneide. Über diesen nach SSW ausgerichteten Grat erfolgt der weitere Aufstieg zum Gipfel. Laut SAC-Führer "Tessiner Alpen 2" nur WS-,
also wirklich wenig schwierig? Da auch die 3.Tagesetappe recht lang ist, probierten wir es nicht aus.
































Manchmal war es erstaunlich, wie scheinbar unüberwindbar Abschnitte des VAV sich beim näher kommen als machbar erwiesen. So auch
die Gratmauer unterhalb des Cima di Rierna. Der Weg schlängelt sich auf der rechten Seite in die Höhe.
































Aber der VAV bietet auch entspannte Abschnitte, wie den breiten Grasrücken, der den letzten Anstieg zum Cima del Rosso 2443m vermittelt.



Ziegen und Schafe waren tagsüber -neben uns- die einzigen sichtbaren Säugetiere auf dem VAV.  Vom Cima Cagnone geht es nur noch hinunter
zur Cap. Efra 2039m, die wir nach Einbruch der Dunkelheit erreichten. Dort trafen wir das deutsch-schweizer Paar von der Cap. Borgna wieder.
Sie waren mit uns wohl die einzigen in diesen Tagen gewesen, welche den VAV Richtung Norden komplett gelaufen sind.
































Die 4.Tagesetappe ging von der Cap. Efra zur Cap. Cognora 1938m. Es ist die Etappe mit dem höchsten Punkt, dem 2741m hohen Madom Gröss.
Dem entsprechend sind viele Abschnitte höher als bei den anderen Etappen. Es gibt daher weniger Grün und Schrofen. Das Grau der Felsen dominiert.
































Der Aufstieg umgeht zunächst den Cima di Nedro auf der oben sichtbaren Westflanke, um dann zum Pizzo Gramosino 2717 zu führen (noch in den Wolken).



Hinter dem Pizzo Cramosino kommt ein scharfer Einschnitt im Grat, der etwas versichert ist. Auf der gegenüberliegenden Seite kann man in
der Mitte ein dünnes Seilen erkennen. Der heikelste Teil dieser Etappe wartet jedoch hinter dem Madom Gröss 2741m.



Es ist eine steile Rinne, welche den schwierigen oberen Nordgrat des Madom Gröss umgeht. Sie führt auf der Ostseite des Madom Gröss über
100m in die Tiefe. An ihrem Endpunkt geht man hinüber zum Südgrat des Pizzo di Mezzodi 2708m. Dabei ist ein großer Gratgendarm zu überklettern.
Gut, dass das deutsch-schweizer Paar voraus gelaufen ist und sonst niemand in der Rinne unterwegs war. Sie ist extrem Steinschlag gefährdet.



Nach einem kurzem Abstecher auf den Pizzo di Mezzodi geht es zunächst steil und über viel Geröll hinab zur Cap. Cognóra 1938m.



Am 24.09. unterbrachen wir den VAV und stiegen von der Cap. Cognora ins Val Vegorness, dem nordöstlichen Seitental des Val Verzasca.
In diesem Seitental trafen wir uns mit German. Von dort stiegen wir auf dem leichten Hüttenweg zur Cap. Barone 2172m auf.



































Am 25.09. machten wir von der Cap. Barone zunächst einen Abstecher auf den Pizzo Barone 2804m, um danach auf dem VAV zur Cap. Cognora zu laufen.
































Der Standard-VAV läuft auf dem Foto auf der linken Seite (Westseite) deutlich unterhalb der Gipfel. Es gibt eine schwierigere Variante des VAV bis T6, die
über einige dieser Gipfel geht.
































Der 26.09.11 war unser Abstiegstag. Zunächst wieder -auf dem komfortablen und frisch überholten Hüttenweg- ins Val Vegorness und danach
mit Auto und Flugzeug auf dem gleichen Weg wie hinzu nach Hause.
Fazit: Ein anspruchsvoller und aussichtsreicher Höhenweg.
Kerstin und ich wollen den VAV noch einmal laufen. Dann mit weniger Gepäck und anderen Teilvarianten.


Literatur:
"Die schönsten Höhenwege der Schweiz" Ueli Hintermeister, Daniel Vonwiller, AT Verlag 2009
"Alpin Wandern" Einsame Touren südlich des Gotthards, M.Volken, R.Kunert, T.Valsesia, SAC Verlag 2009

Karten:
Schweizer Landeskarten 1:25000
1313 Bellinzona
1293 Osogna
1273 Biasca
1272 Pizzo Campo Tencia


Stand Dezember 2011











zurück zur Startseite